Frau sitzt mit Virtual-Reality-Brille vor der Bayerischen Staatsoper
Frau sitzt mit Virtual-Reality-Brille vor der Bayerischen Staatsoper

Mäusekino auf großer Bühne

Die Pandemie hat die Digitalisierung der Oper vorangetrieben. Das ist auch in Zukunft viel wert. Doch kein Streaming bietet die Atmosphäre eines Opernhauses.

TEXT: SIBYLLA ELSING

Mäusekino auf großer Bühne

Die Pandemie hat die Digitalisierung der Oper vorangetrieben. Das ist auch in Zukunft viel wert. Doch kein Streaming bietet die Atmosphäre eines Opernhauses.

TEXT: SIBYLLA ELSING

4 Menschen stehen im Medienlanbor und haben eine Papierbahn in den Händen

Vor der digitaliserten Oper steht die Handarbeit im Medienlabor.

Auf einem dicken Kissen im 1. Rang sitzt ein achtjähriges Mädchen im roten Samtkleid. Auf der Bühne der Deutschen Oper am Rhein wird die Oper „Hänsel und Gretel“ von Engelbert Humperdinck aufgeführt – ein Riesenerlebnis. Lange war das nicht möglich: Im Zuge der Coronapandemie war der klassische Musikbetrieb über viele Monate weitgehend stillgelegt.

Allein während des ersten Lockdowns wurden nach Angaben des Bundesverbands der Konzert- und Veranstaltungswirtschaft rund 80 000 Veranstaltungen abgesagt. Unter den Folgen litten Zuschauer und Zuhörer, aber auch die Künstlerinnen und Künstler und die Mitarbeitenden der Theater und Orchester. Viele freiberufliche Sängerinnen und Sänger sowie Instrumentalistinnen und Instrumentalisten mussten um ihre Existenz bangen und kämpfen. Für junge Kunstschaffende war der Start in ein Berufsleben fast unmöglich.

Inzwischen haben viele Opernhäuser und Konzertsäle zwar wieder den Regelbetrieb aufgenommen, mit 3G-Regel und Maskenpflicht. Aber das macht die kleine – digitale – Revolution, die sich vor dem desaströsen Hintergrund des Kultur-Lockdowns vollzogen hatte, nicht ungeschehen. Sie hat auch für die Zukunft großes Potenzial.

Zahlreiche Opernhäuser und Konzertveranstalter hatten Streaming-Angebote online gestellt, überwiegend gratis. Über ihre Webseiten, die Newsletter, die Verteilung der Pressemitteilungen und den Onlinekartenverkauf nutzen Opernhäuser mittlerweile digitale Mittel auch für Vertrieb und Verkauf. Viele Häuser, etwa die Deutsche Oper Berlin, sind auch auf Social- Media-Plattformen präsent.

Die Oper Frankfurt stellt inzwischen auf ihrer Homepage sechsminütige Trailer zu allen Neuproduktionen ein. Die Staatsoper Hamburg postet spannende Backstage-Geschichten auf Social-Media-Kanälen und überträgt jährlich die Eröffnungspremiere zu freiem Eintritt auf eine Großbildleinwand an den Jungfernstieg. Das Theater Erfurt war das erste Haus in Deutschland, das schon 2010 eine App für iPhone- Nutzerinnen und -Nutzer entwickelte. Diesem Beispiel sind inzwischen viele Opernhäuser gefolgt.

Das Düsseldorfer Opernhaus soll demnächst digital belebt werden. Durch das Herunterladen einer App wird es Passantinnen und Passanten möglich sein, mit dem Handy virtuelle Fenster des Opernhauses zu öffnen und so bei Ballettproben zuzuschauen, den Intendanten zu treffen, Sängerinnen und Sängern zuzuhören oder mit einer Drohne durch das Opernhaus zu fliegen. Der „Fonds Digital“ der Kulturstiftung des Bundes fördert das „digitale Foyer“ der Deutschen Oper am Rhein und des Forum Freies Theater (FFT) mit über 800.000 Euro.

Junges Publikum begeistern

Die Bayerische Staatsoper hat als erstes Opernhaus der Welt ein Virtual-Reality- Opernerlebnis ermöglicht: Mithilfe einer VR-Brille oder eines Smartphones und Cardboards können die Nutzerinnen und Nutzer die Oper besuchen und Räume sehen, die der Öffentlichkeit sonst verborgen bleiben, Sängerinnen und Sänger auf der Bühne erleben und am Ende den Applaus von mehr als 2000 Zuschauerinnen und Zuschauern entgegennehmen.

Die meisten Bühnen haben digitale Konzepte allzu lange bloß als Teil des Marketings gesehen und nicht so sehr als künstlerische Herausforderung. Doch das hat sich geändert, und es ist wichtig, digitale Projekte nun auch weiterzuentwickeln. Der richtige Umgang mit den neuen Medien wird auch nach der Pandemie über das Überleben der Opern entscheiden – gerade auch mit Blick auf ein junges, aus hochkulturfremden sozialen Schichten stammendes Publikum, das zwar an Oper interessiert ist, sich aber nicht traut, die Musiktempel zu betreten.

In einer von der britischen Regierung initiierten Umfrage gab die Mehrzahl der 18- bis 25-Jährigen „Klassik und Orchester“ als bevorzugtes Musikgenre an. Dies liegt dort vermutlich nicht zuletzt am Einfluss von Computerspielen, die oft mit digitaler Sinfonik daherkommen. Das Hören klassischer Musik will aber auch gelernt sein! In Deutschland liegt der Anteil der Menschen, die klassische Musik hören, bei nur 7 bis 10 Prozent der Gesamtbevölkerung. Doch diese Gruppe wächst, und es gibt ein riesiges potenzielles Publikum, das digital erschlossen werden kann.

Die meisten Bühnen haben digitale Konzepte allzu lange bloß als Teil des Marketings gesehen.
Sibylla Elsing

Darum bemühen sich die Opernhäuser nunmehr verstärkt. Die Bayerische Staatsoper hat sich im zweiten Kultur- Lockdown erstmals mit Übertragungen von Vorstellungen in voller Länge präsentiert, die über einen Livestream im Internet von Opernbegeisterten aus aller Welt gratis verfolgt werden konnten. Außerdem wurden Neuproduktionen der Spielzeit 2020/21 auf „STAATSOPER. TV“ eingestellt. Die Neuinszenierung der Bayerischen Staatsoper von Verdis „Falstaff“ war erstmals ausschließlich als Livestream zu sehen.

Deutliche Nachteile

Auch die Neuinszenierung von Richard Wagners „Lohengrin“ an der Berliner Staatsoper Unter den Linden hatte am 13. Dezember 2020 als Videostream Premiere. Dabei wurde auf die Originalbesetzung der Weimarer Uraufführung zurückgegriffen: Nur die Hälfte der sonst üblichen Instrumente spielte im Orchestergraben, mit Abstand. Die Harfen saßen in der Loge. Die Königstrompeten wurden aus dem Probenraum zugeschaltet.

Doch so schön es war, dass man Opernaufführungen in dieser Zeit zumindest auf diesem Weg mitverfolgen konnte – es blieb Mäusekino. Die Nachteile der Streaming-Angebote sind deutlich zutage getreten: Die akustischen Eindrücke bleiben weit hinter dem Live- Erlebnis zurück, die optische Qualität ist schlechter, die fantastische Atmosphäre eines Abends in einem Opernhaus lässt sich nicht auf einem Bildschirm nachstellen.

Das Mädchen im roten Samtkleid hat aus Begeisterung für die Musik den klassischen Gesang als Studienfach gewählt. Nun freut es sich, dass die Opernhäuser endlich wiedereröffnet wurden.

Sibylla Elsing

Sibylla Elsing studiert „Voice Performance“ im Master an der Folkwang Universität der Künste in Essen und ist seit April 2020 in der Grundförderung der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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