Europa

darf sich nicht spalten lassen

Die sicherheitspolitischen Bedrohungen nehmen zu. Umso wichtiger ist es, dass die europäischen Partner in Zukunft enger zusammenarbeiten und auch militärisch selbständiger werden.

TEXT: DANIELA SCHWARZER
ILLUSTRATION: EMMANUEL POLANCO/SEPIA

Europa darf sich nicht spalten lassen

Die sicherheitspolitischen Bedrohungen nehmen zu. Umso wichtiger ist es, dass die europäischen Partner in Zukunft enger zusammenarbeiten und auch militärisch selbständiger werden.

TEXT: DANIELA SCHWARZER
ILLUSTRATION: EMMANUEL POLANCO/SEPIA

Die neue Bundesregierung hat ihre Arbeit in einer Zeit rasanter internationaler Veränderungen aufgenommen. Die Europäische Union und ihre Mitglieder stehen vor einer Vielzahl sicherheitspolitischer Herausforderungen. Neben verschärften klassischen Bedrohungen wie Russlands Interventionen und Truppenaufbau in Europas Nachbarschaft haben hybride Angriffe – zum Beispiel in Form von Cyberattacken – zugenommen. Auch transnationale Risiken wie Pandemien und Klimawandel wirken auf Gesellschaft, Wirtschaft und politische Stabilität ein, sowohl direkt als auch indirekt durch Sekundäreffekte wie eine stärkere Migration.

In dem Maße, wie die Grenzen zwischen inneren und äußeren Entwicklungen verfließen, verlieren nationale Regierungen allerdings an Gestaltungskraft. Das gilt auch für die größten EU-Staaten Deutschland und Frankreich. Sicherheit, Wohlstand und politische Ordnung im Inneren hängen maßgeblich davon ab, wie sich regionale und globale Krisen entwickeln und welche Strategien unsere Partner und Herausforderer verfolgen. 

Kritik am Führungsanspruch

Vor diesem Hintergrund ist eine engere Zusammenarbeit zwischen europäischen Partnern wichtig. Auch eine verlässliche Zusammenarbeit zwischen Europa und den Vereinigten Staaten hat weiter hohe Priorität. Doch Europa hat durch Donald Trump gelernt, dass die Nähe zu Amerika, wenn sie strategische Abhängigkeit bedeutet, zu einem großen Unsicherheitsfaktor werden kann. Der Blick Washingtons auf die EU hat sich im vergangenen Jahrzehnt mehrmals gewandelt. Seit der damalige Präsident Barack Obama 2011 vor dem australischen Parlament seinen „Pivot to Asia“ (Neuausrichtung nach Asien) verkündete, ist klar, dass die Vereinigten Staaten ihre Aufmerksamkeit von Europa weg in Richtung des indo-pazifischen Raums verlagern. Denn mittlerweile gilt China als systemischer Wettbewerber Amerikas, baut seine Vorherrschaft wirtschaftlich wie auch militärisch aus und will die internationale Ordnung umbauen.

Trump hat die aufstrebende Macht China ab 2017 in zumehmend  kämpferischeren Worten als Gefahr für die Vereinigten Staaten charakterisiert. Parallel versuchte er, durch Druck auf die EU und insbesondere Deutschland die handelspolitische Situation Amerikas zu verbessern. Er untergrub die EU, indem er Brexit-Befürworter in Großbritannien und Rechtspopulisten in Mittel- und Osteuropa unterstützte. Die größte Gefahr ging allerdings von seinen Zweifeln am Verteidigungsbündnis Nato und von der Annäherung an Russlands Präsident Wladimir Putin aus.

In Reaktion auf Trump hat die EU seit 2017 ihre verteidigungspolitische Zusammenarbeit intensiviert. Sie hob mit starker deutscher Unterstützung eine strukturierte Zusammenarbeit in Verteidigungsfragen (PESCO) aus der Taufe, die heute 25 EU-Staaten einbindet und langfristig Transparenz über Kapazitäten, gemeinsame Planung und Kooperation sicherstellen soll. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schob parallel die Europäische Interventionsinitiative an, um Europas „strategische Autonomie“ zu stärken. In der Initiative arbeiten interessierte Staaten zusammen, um Auslandseinsätze und gemeinsame Rüstungsbeschaffung flexibel zu ermöglichen. Frankreich drängt darauf, Europas Rolle global zu stärken, auch im Indopazifik, wo es dank seiner militärischen Präsenz eine herausgehobene Rolle hat. Deutschland denkt Europas Rolle im Gegensatz dazu stärker „durch Brüssel“ und eher in Europas Nachbarschaft als weltumspannend, weniger militärisch und mehr als zivile Macht. Frankreichs Führungsanspruch sieht Berlin daher kritisch, wenn es um den Aufbau von Kooperation außerhalb des EU- und Nato-Rahmens geht.

Es geht darum, ob der politische Westen gegenüber China die westlich-liberal geprägte Weltordnung aufrechterhalten kann.

Es geht darum, ob der politische Westen gegenüber China die westlich-liberal geprägte Weltordnung aufrechterhalten kann.

Für die neue Bundesregierung, die französische EU-Ratspräsidentschaft ab Januar 2021 und den künftigen französischen Staatspräsidenten ist es von höchster Priorität, die deutsch-französische und europäische Kooperation im außen-, sicherheits- und verteidigungspolitischen Bereich zu stärken – mit dem amerikanischen Präsidenten Joe Biden als engem Partner. Auch er sieht China als größte Herausforderung. Es geht darum, ob der politische Westen die westlich-liberal geprägte Weltordnung aufrechterhalten kann, die, maßgeblich von Amerika gestaltet, den internationalen Rahmen für wirtschaftliche Öffnung und europäische Integration setzt. Sehr klar erwartet Biden in diesem Ringen Deutschland, Frankreich und die EU insgesamt an seiner Seite. Doch Europa und allen voran die beiden größten EU-Staaten müssen über seine Amtszeit hinausdenken.

Neue Netzwerke

Deutschland und Frankreich haben die Aufgabe, die Frage nach Europas Beitrag zu Sicherheit und Verteidigung neu zu stellen. Wichtig ist es, die bilateralen Rüstungsprojekte zum Erfolg zu bringen und dabei auch mit den unterschiedlichen Regeln für Rüstungsexporte umzugehen. Falls sich Projekte als nicht wettbewerbsfähig erweisen, sollten sie politisch vorsichtig beendet werden, damit man neue europäische Initiativen aufsetzen kann, auch mit weiteren EU-Partnern. Um die europäische Strategie- und Handlungsfähigkeit zu verbessern und mithin auch einer europäischen Autonomie Schritt für Schritt näherzukommen, sind konkrete Fortschritte nötig. Es bedarf effizienter Entscheidungsmechanismen. Bisher verhindern einzelne Staaten innerhalb der EU immer wieder, dass es zu einstimmigen Entscheidungen kommt, allen voran Ungarn und Polen.

Auch weitere Kooperationen außerhalb der 27er-Gruppe sollten in den Blick genommen werden, ohne den EU-Rahmen zu untergraben. Um eine stärkere internationale Rolle spielen zu können, braucht Europa wirksame Instrumente und die notwendige Ressourcenausstattung. Die EU und ihre wichtigsten Mitgliedstaaten Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien sollten ihre Initiativen darüber hinaus in multilaterale Organisationen und neue Netzwerke wie den von Joe Biden im Dezember 2021 einberufenen „Summit for Democracy“ einbringen, um langfristig mit gleichgesinnten Partnern in aller Welt dauerhafte Kooperationen zu schmieden.

Daniela Schwarzer ist Direktorin für Europa und Eurasien der Open Society Foundations. Sie ist zudem Honorarprofessorin an der Freien Universität Berlin und Senior Fellow an der Harvard Kennedy School of Government. Von 2017 bis 2021 leitete sie die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Ihr neues Buch „Final Call. Wie Europa sich zwischen China und den USA behaupten kann“ ist im September 2021 bei Campus erschienen.

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