FREISINN

„Freiheit ist Politik“

Der Schweizer Journalist und ehemalige Verlags-Vorstand Frank A. Meyer über seine Wahlheimat Berlin, politischen Freisinn, gekaperte Demonstrationen und den Reiz des Kapitalismus.

TEXT: HELENA VON HARDENBERG UND KARL-HEINZ PAQUÉ

FREISINN

„Freiheit ist Politik“

Der Schweizer Journalist und ehemalige Verlags-Vorstand Frank A. Meyer über seine Wahlheimat Berlin, politischen Freisinn, gekaperte Demonstrationen und den Reiz des Kapitalismus.

TEXT: HELENA VON HARDENBERG UND KARL-HEINZ PAQUÉ

Herr Meyer, Sie sind Schweizer und leben seit über 15 Jahren in Berlin. Was fasziniert Sie an der Stadt?

Das Unfertige. Berlin ist eine Reise durch die Geschichte: die preußische, die wilhelminische, die Geschichte der Weimarer Republik, die Zeit des Nationalsozialismus, der DDR, des Kalten Kriegs, schließlich die Zeit seit dem Mauerfall. Man kann durch diese Zeiten hindurchflanieren; man kann sie am Stadtbild, an den Gebäuden und Straßen ablesen. Berlin ist nicht zum Bestaunen, sondern zum Entdecken.

Wie sehen Sie im Vergleich dazu die Atmosphäre in Schweizer Städten?

Die Schweiz ist Geborgenheit. So empfinde ich das natürlich vor allem in meiner Heimatstadt Biel, der einzigen wirklich zweisprachigen Stadt in Europa. 1972 habe ich dort eine freisinnige Partei gegründet, sie hieß „Freie Bieler Bürger/Entente biennoise“.

Was bedeutet Freisinn genau für Sie?

Freisinn ist das schönste Wort der Politik. Es verbindet Freiheit und Sinn, sogar Sinnlichkeit. Was man als Freisinniger liebt, ist nichts anderes als das lustvolle Engagement für eine offene Gesellschaft im Sinne Karl Poppers: eine offene Gesellschaft, die in der Dialektik von Versuch und Irrtum das Politische lebt. Das Programm meiner Partei war das kleine grüne Buch von Karl-Hermann Flach aus dem Jahr 1971 mit dem Titel „Noch eine Chance für die Liberalen oder Die Zukunft der Freiheit“.

Die Blaupause der Freiburger Thesen …

Dieses Büchlein hat mich fasziniert. Meine „Freien Bieler Bürger/Entente Biennoise“ wurden zur zweitstärksten -Fraktion im Stadtparlament. Das war ein politischer Triumph – just an demselben Tag übrigens, an dem in Deutschland Willy Brandt und die FDP 1972 ihren großen Triumph erlebten.

Freisinn ist das schönste Wort der Politik. Es verbindet Freiheit und Sinn, sogar Sinnlichkeit. Was man als Freisinniger liebt, ist das lustvolle Engagement für eine offene Gesellschaft.

Fühlen Sie sich Berlin politisch nahe?

Nein. Es gibt nichts Fataleres als eine Stadt, die von Rot-Rot-Grün regiert wird. Es ist eine verluderte Stadt. Unter meinem Freund Klaus Wowereit war es anders. Es galten -damals natürlich auch noch Tugenden West-Berlins. Ich wohne in Charlottenburg, das ist der bürgerlichste Stadtteil Berlins. Und ich spüre selbst dort kaum mehr Bürgerlichkeit.

In den sozialen Medien beschimpfen sich viele Menschen derzeit geradezu vulgär. Woher kommt nach Ihrem Eindruck deren Wut?

Ach, wissen Sie, es wird zu viel von Hass und Hetze geredet. Das ist übertrieben. Die Bürger schimpfen einfach, und dabei fehlt ihnen oft der Anstand.

Sie sind sehr gelassen.

Ich habe eine freisinnige Seele. Wenn man den Leuten, die da aus der Rolle fallen, jetzt zu nahe träte, würde ich sie verteidigen.

Haben die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland denn genügend Raum, sich zu äußern – gerade auch in Zeiten der Pandemie, die viele politisiert hat?

Die Pandemie bedeutet Handeln im Ausnahmezustand. Die Regierungen – auch in der Schweiz – waren damit genauso wenig vertraut wie die Bürgerinnen und Bürger. Und sie haben sich herangetastet: Was machen wir jetzt? Was ist richtig? Wir alle haben gelernt, lernfähig zu sein. Ich setze mich dafür ein, dass die Leute, die beispielsweise die Pandemiepolitik kritisch betrachten, auf die Straße gehen können. Ich finde es verfehlt, wenn man sie diffamiert. Das sind in der großen Mehrheit ganz normale Bürger, die ratlos sind – und deshalb rebellisch, was aus freisinniger Sicht ja positiv zu bewerten wäre.

Bei den Demonstrationen gegen die Corona-Politik laufen auch Rechtsextreme mit. Sollte man da nicht doch lieber zu Hause bleiben?

Nein, aber man muss sich dagegen wehren, dass die Demonstrationen gekapert werden. Ich habe seinerzeit die Ostermärsche mitgemacht. Da kamen antiamerikanische Vietnam-Demonstranten und wollten unseren friedlichen Marsch für ihre Ziele benutzen. Wir haben denen die Transparente weggenommen, sie dann aber mitmarschieren lassen. Etwas völlig anderes sind Demonstrationen, die militant werden und andere Bürger daran hindern, ihren Alltagsverrichtungen nachzugehen – beispielsweise durch die Blockade von Autobahnen.

In den Demonstrationen gegen die Corona-Politik geht es aktuell vor allem um die Impfpflicht. Wie stehen Sie dazu?

Ich bin für die Impfpflicht, weil ich darin keinen Eingriff in die persönliche Freiheit sehen kann. Eine differenzierte Impfpflicht ist vielleicht noch besser als eine allgemeine. Dass die Regierung unsicher nach Antworten sucht, erscheint mir völlig normal.

Der Schweizer Frank A. Meyer ist Journalist. Er schreibt seit 40 Jahren eine Kolumne im „SonntagsBlick“, dem schweizerischen Pendant zur deutschen „Bild am Sonntag“. Von 1968 bis 1980 war er an einem Pressebüro in seiner Heimatstadt Biel beteiligt und engagierte sich in der Lokalpolitik, von 1976 bis 1980 als Mitglied des Stadtparlaments. 1973 begann seine journalistische Tätigkeit für das Medienhaus Ringier. 1984 wurde er Mitglied des Vorstands und beriet den Verleger Michael Ringier. 2018 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande. Frank A. Meyer lebt seit 16 Jahren in Berlin.

Der Schweizer Frank A. Meyer ist Journalist. Er schreibt seit 40 Jahren eine Kolumne im „SonntagsBlick“, dem schweizerischen Pendant zur deutschen „Bild am Sonntag“. Von 1968 bis 1980 war er an einem Pressebüro in seiner Heimatstadt Biel beteiligt und engagierte sich in der Lokalpolitik, von 1976 bis 1980 als Mitglied des Stadtparlaments. 1973 begann seine journalistische Tätigkeit für das Medienhaus Ringier. 1984 wurde er Mitglied des Vorstands und beriet den Verleger Michael Ringier. 2018 erhielt er das Bundesverdienstkreuz am Bande. Frank A. Meyer lebt seit 16 Jahren in Berlin.

Die Bundestagswahl hat gezeigt, dass die jüngeren Menschen in Deutschland zwei großen weltanschaulichen Richtungen anhängen: der Ökologie und dem Liberalismus. Wie eng ist für Sie die Nähe zwischen diesen beiden Strömungen?

Sie sind Gegensätze. Denn es gibt einen fundamentalen Unterschied zwischen der liberalen, also freisinnigen Weltanschauung und der ökologischen. Die freisinnige Weltanschauung bedeutet Freiheit für andere Weltanschauungen. Das ist ihr tieferer Sinn – ihr historischer Auftrag. Die grüne Weltanschauung dagegen nimmt für sich die Wahrheit in Anspruch, ähnlich wie der Marxismus, der ja über die Diktatur des Proletariats ins Paradies führen sollte – zum Kommunismus. Für die grünen Weltretter führt der Weg vom Umweltelend über die ökologische Erziehungsgesellschaft in Rousseaus Garten. Marxismus und Klimatismus sind beides säkulare Religionen. Freisinn ist das Gegenteil. Die jungen Wähler entschieden sich also für sehr gegensätzliche Weltsichten.

Die neue Bundesregierung vereint jedoch beide Strömungen. Sehen Sie da einen politischen Aufbruch?

Noch nicht wirklich, aber in Zeiten von Corona können Sie das niemandem vorwerfen. Wir werden erst sehen, wie die Ampelkoalition funktioniert, wenn die Pandemie im Griff ist.

Es gibt keine freie Gesellschaft ohne freie Wirtschaft. Wir sollten mehr vom Kreativen, vom Wertschöpfenden reden, das der Kapitalismus ermöglicht. Und er ist gestaltbar – durch die Politik.

Unterstellen wir mal, die Pandemie ist vorbei und wir können uns wieder den anderen großen Herausforderungen widmen: der Klimapolitik, der Alterung der Gesellschaft, der Reform der sozialen Sicherungssysteme. Wie können wir all das bewältigen?

Nur im Rahmen der marktwirtschaftlichen Ordnung. Es gibt keine freie Gesellschaft ohne freie Wirtschaft. Ich scheue das Wort Kapitalismus nicht. Wir sollten mehr vom Kreativen, vom Wertschöpfenden reden, das der Kapitalismus ermöglicht. Der Kapitalismus ist die Basis für Begeisterungsfähigkeit, für Unternehmer als Innovationstreiber. Und Kapitalismus ist gestaltbar – durch die Politik.

Sie scheuen den Kapitalismus nicht, aber Sie kritisieren den Neoliberalismus, nicht wahr?

Ja, ich bekämpfe den amerikanischen Neoliberalismus.
Er ist antidemokratisch. Ich bekenne mich zum Ordoliberalismus. Die Ordoliberalen setzen sich für soziale Verantwortung ein. Das ist demokratieverträglich.

Was ist für Sie das Wichtigste im Leben?

Das Wichtigste für mich ist die Liebe, das Zweitwichtigste die Freundschaft und das Drittwichtigste das Engagement für die Gesellschaft. Nach Hannah Arendt ist Freiheit Politik und Politik Freiheit. In diesem Geiste verstehe ich mein Denkhandwerk, den Journalismus.

Helena von Hardenberg leitet das Referat Presse & Digitale Kommunikation der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.


Helena von Hardenberg leitet das Referat Presse & Digitale Kommunikation der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Karl-Heinz Paqué ist Vorstandsvorsitzender der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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