KULTUR SPEZIAL

Gut und Böse aus Korea

Von „Squid Game“ bis „Parasite“ – die koreanische Filmindustrie erobert mit ihren Produktionen die Welt. Dass sie häufig auch soziale Missstände anprangert, kommt bei den Zuschauern international gut an.

TEXT: ALEXANDER GÖRLACH

KULTUR SPEZIAL

Gut und Böse aus Korea

Von „Squid Game“ bis „Parasite“ – die koreanische Filmindustrie erobert mit ihren Produktionen die Welt. Dass sie häufig auch soziale Missstände anprangert, kommt bei den Zuschauern international gut an.

TEXT: ALEXANDER GÖRLACH

Kennen Sie Soju, das süße Schnaps-Nationalgetränk aus Südkorea? Falls nicht, dann gehören Sie zu einer immer kleiner werdenden Gruppe. Denn Soju, in einer charakteristischen grünen Flasche abgefüllt, ist in jeder koreanischen TV-Serie und in jedem koreanischen Spielfilm zu sehen. Und diese verbreiten sich mit rasanter Geschwindigkeit um den gesamten Globus. In einer repräsentativen Umfrage von Statista aus dem Jahr 2020 gab ein Drittel der Befragten aus aller Welt an, dass koreanische Produktionen in ihrem Land bekannt und populär seien. Die Umsatzzahlen unterstreichen das: Die Filmindustrie Südkoreas setzte 2019 eine Rekordsumme von 10 Milliarden Dollar um, doppelt so viel wie nur fünf Jahre zuvor. Die Pandemie hat diesen Trend verstärkt. In aller Welt verzeichnen Streaming-Dienste wie Netflix eine steigende Nachfrage nach Produktionen „made in Korea“.

Verdichtet hat sich dieser Trend in der Show „Squid Game“ gezeigt: 111 Millionen Personen haben diese Horrorserie im Herbst 2021 in den ersten 28 Tagen gesehen. Die Show war daraufhin in aller Munde, und Halloween-Kostüme à la „Squid Game“ entwickelten sich zum Renner. „Squid Game“ ist kein Einzelfall: Im Jahr 2020 wurde der Film „Minari“ zu einem Welterfolg. Der Streifen über eine koreanische Familie, die sich auf einer Farm im amerikanischen Bundesstaat Arkansas niederlässt und dabei allerlei Unbilden bestehen muss, wurde für sechs Oscars nominiert und gewann am Ende den Preis für die beste Nebendarstellerin. Ein Jahr zuvor war „Parasite“, ein Film über die Ungleichheit in der koreanischen Gesellschaft, für sechs der begehrten Trophäen nominiert gewesen und holte immerhin vier.

Die koreanische Produktionen sparen nicht mit sozialer Kritik. Häufig geht es um den harten Aufstiegskampf, dem die Menschen im Land ausgesetzt sind. In nahezu jeder Serie gibt es den ungezogenen Spross einer reichen Familie, der sich gegenüber Menschen anderer Gesellschaftsklassen schlecht verhält. Auch das Thema Korruption prägt den Plot etlicher Serien. Wenn man den TV-Geschichten Glauben schenken darf, erfassen Käuflichkeit und Gier alle höheren Stufen der koranischen Gesellschaft. Es geht häufig auch um psychische und physische Gewalt, wie als Mobbing in der Schule, am Arbeitsplatz und beim Militär an der Tagesordnung ist. Etliche Shows sind auch politisch und greifen beispielsweise das Verhältnis von Süd- und Nordkorea auf oder beleuchten die Transformation Südkoreas von einer Militärdiktatur in eine Demokratie. Dass solche Serien, obschon sie schwere Themen haben, großen, internationalen Erfolg erlangen, ist der Verdienst der koreanischen Filmindustrie.

Ihr gelingt es, Drehbücher so zu schreiben und zu verfilmen, dass sie einer internationalen Zuschauerschaft zugänglich sind: einfach, aber nicht simpel. Mit diesem Rezept ist schon Hollywood einst zur globalen Marke geworden. Nun übernimmt Korea den Staffelstab. Die Plots aus Korea sind einfach zu durchdringen: Es geht um Gut gegen Böse und um die wahre, große Liebe. Getragen wird die Handlung von Schauspielern, die ihr Handwerk verstehen und als Stars zur Projektionsfläche werden. Schauspielerinnen und Schauspieler aus Korea setzen den Standard für Schönheit, Mode und Lifestyle. Korea hat sich hier eine Anziehungs- und Überzeugungskraft (Softpower) erarbeitet, die bereits seit Jahren auf ganz Asien abstrahlt und nun auch die Menschen auf dem Rest des Erdballs fasziniert.

Das große China nebenan verfolgt das Geschehen neidisch. In dem diktatorisch geführten Land ohne Softpower verbot die Nomenklatura in Peking im Juli 2016 deshalb jeden Film aus Korea. Der Bann dauerte drei Jahre an. Chinesische Serien sind verglichen mit der Konkurrenz aus Korea blass. Kein Wunder: In einer Diktatur können Filmemacher keine sozialen Missstände ansprechen, geschweige denn anprangern, wie es in Korea Normalität ist. Chinesische Serien sind daher meist triefende Liebesschmonzetten, historischer Kostümkitsch oder aufgeblasenes nationalistisches Heldentheater. Zudem hat Chinas Führer Xi Jinping verordnet, dass Männer, die in China auf der Leinwand und im Fernsehen gesehen werden wollen, nicht wie Männer in Korea aussehen dürfen, die Xi für „weiblich“ hält.

Die Modernisierung des koreanischen Films in den vergangenen fünf Jahren verdankt sich vor allem den Streamingdiensten. Südkorea ist traditionell ein abgeschiedenes Land, das ähnlich wie sein Nachbar Japan wenig an Außenbeziehungen interessiert ist. Immer noch sprechen die wenigsten Menschen Englisch – obwohl das Land seit Jahrzehnten mit den Vereinigten Staaten in enger Partnerschaft verbunden ist. Die Menschen in dem konservativen Land legen großen Wert auf das Einhalten traditioneller Vorstellungen bei der Berufs- und Partnerwahl: Vor allem Berufe wie Arzt oder Anwalt gelten als erstrebenswert. Kinder verbringen deshalb etliche Stunden täglich nach Schulschluss in Einrichtungen, die sie weiter mit Aufgaben traktieren. Auch der öffentliche Dienst ist ein respektierter Arbeitgeber. Für die Aufnahme büffeln junge Menschen jahrelang und pausenlos. Neue Serien und Filme thematisieren diesen Wahnsinn, der mit die Ursache dafür sein dürfte, dass Korea in der OECD eines der Länder mit der höchsten Selbstmordrate ist.

Auch die Softpower in Sachen Schönheit, Mode und Lifestyle ist nicht ohne Risiken und Gefahren: Frauen wie Männer legen sich ab der Pubertät unter das Messer. Ein gewisses idealisiertes Aussehen soll den Erfolg in Beruf und Privatleben sichern. Von der Form der Augen und Lippen über Kosmetikartikel und Uhren bis hin zur jüngsten Mode: alles soll Status zeigen. Wer diese Kennzeichen nicht vorweisen können, ist Außenseiter. Was also von außen nach Modebewusstsein aussehen mag, ist in Wahrheit straffe Konformität. Selbst die Partnerwahl wird häufig noch von den Eltern mitbestimmt, nicht nur in Korea, sondern auch in anderen asiatischen Ländern, die ebenfalls von den streng hierarchischen Regeln des Konfuzianismus geprägt sind.

Diese Alltagskämpfe mögen vielen Europäern in dieser Weise fremd sein. Gleichwohl holen sie diese Zuschauer ab, da es diesen Streaming-Serien gelingt, den internationalen Trend zu mehr Inklusion und weniger Vorurteil aufzugreifen. Sie nehmen es mit dem altbackenen Frauenbild in Korea genauso auf wie mit verbreiteten Fremdenfeindlichkeit. Zunehmend kommen auch Homosexuelle und Transgender in den Shows vor. Die Zuschauer mögen das. Im laufenden Jahr sollen allein auf Netflix sechs frische Filme und 18 neue Serien global verfügbar sein.

Im demokratischen Korea können Filmschaffende Missstände aufdecken, Korruption und sexualisierte Gewalt anprangern. Weil das so ist, erlebten Land und Filmindustrie im Frühjahr 2021 ihre eigene #Metoo-Bewegung. So wurde unter anderem bekannt, dass der beliebte Schauspieler Kim Ji Soo Mitschüler als 14-Jähriger drangsaliert hat. Der Schauspieler gab einen Teil der Anschuldigungen zu, distanzierte sich aber glaubhaft von der Behauptung, es sei zu sexueller Nötigung gekommen. Ji Soo absolviert nun seinen verpflichtenden Militärdienst in der Hoffnung, nach dessen Ende rehabilitiert zu sein. Grausames Mobbing gibt es übrigens auch beim Militär, was eine eigene Netflix-Produktion im Sommer vergangenen Jahres auf den Bildschirm brachte.

Die heimliche Hauptrolle in jeder koreanischen Serie spielt das Essen. Wichtige Gespräche finden bei Tisch statt, mit reichlich Close-Up auf die Köstlichkeiten, die zuhause oder im Restaurant zubereitet wurden. Bereits zum Frühstück, so lernen Interessierte aus Übersee, werden in Korea etliche Vorspeisen, Suppe und Reis aufgetischt. Am Abend darf bei koreanischem Grillgut, das am Tisch direkt zubereitet wird, das Soju in der grünen Flasche nicht fehlen. Deutsche Zuschauer mögen es vielleicht einmal in der Form eines „Maekju“ verköstigen, einer Mischung aus Bier und Schnaps.

SERIEN

D.P. — Diese Netflix-Produktion prangert die ungeheuerlichen Missstände in der koreanischen Armee an. Ein Mobbing-Opfer hält es nicht mehr aus und nimmt Rache an seinen Peinigern.

Itaewon Class — Drama über Klassenunterschiede und gutes Essen, einen jungen, aufstrebenden Koch, der sich gegen den Branchenriesen durchsetzen will.

Kingdom — Diese Zombie-Serie ist in der Jeoson-Periode im 16. Jahrhundert angesiedelt. Eine Horde Untoter überfällt das Reich und bedroht das Überleben von Herrscher und Untertanen.

Move to Heaven— Ein Bestatter räumt die Wohnung von Menschen aus, die auf tragische Weise umkommen und keine Familie haben. Als der Bestatter selbst stirbt, übernehmen sein autistischer Sohn und sein gerade aus dem Gefängnis entlassener Bruder das Geschäft.

The Silent Sea — Abenteuer im Weltall: Nachdem auf der Erde alles Wasser vertrocknet ist, versuchen Wissenschaftler, auf dem Mond Wasser zu gewinnen. Fünf Jahre nach einem Unglück in ihrer Forschungsstation wird ein Team entsandt, um Wasserproben zu Erde zu bringen. Als sie dort ankommen, merken sie, dass sie nicht alleine auf dem Mond sind.

Vincenzo — Als Junge in Italien adoptiert, dient der Koreaner Vincenzo einem Mafia-Boss als Consigliere. Nach dem Tod seines Patrons geht Vincenzo zurück nach Seoul, um ein eigenes Ding zu drehen. Seine Mafia-Erfahrung kommt ihm dabei zu Pass. Geflucht wird dabei fast akzentfrei auf Italienisch.

Youth of May — Das Setting dieser Show ist der Kampf der Demokratiebewegung, der 1980 in der Stadt Gwangju den Höhepunkt erreichte. Gesehen durch die Augen eines Liebespaares, das in den Kämpfe verstrickt wird, erlebt der Zuschauer diese für das heutige Korea so bedeutende Zeit, die das Ende der Militärdiktatur einläutete.

KINOFILME

Seobok — Eine künstliche Intelligenz in menschlicher Form wird von einem Geheimagenten gegen seine Feinde im koreanischen Deep State geschützt. Koreas Beitrag zur Debatte über Möglichkeiten und Grenzen von KI.

Taxi Driver — Ein als Missionar verkleideter deutscher Journalist lässt sich 1980 von einem Taxi in die besetze Stadt Gwanju bringen, um unerkannt über die Gewalt der Militärdiktatur gegen die Studierenden zu berichten. Der Journalist und der Taxifahrer müssen gemeinsam viele Gefahren überwinden.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs.

Alexander Görlach ist Senior Fellow am Carnegie Council for Ethics in International Affairs.

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