KRIEG IN EUROPA

Häuserkampf und Heldentum im Twitter-Feed

Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine ist auch ein Social-Media-Krieg. Die Heldentaten der einheimischen Bevölkerung werden rund um die Uhr in die Welt gesendet. Ein perfektes Mittel gegen den Desinformationsautokraten Putin.

TEXT: CONSTANTIN ECKNER

KRIEG IN EUROPA

Häuserkampf und Heldentum im Twitter-Feed

Der bewaffnete Konflikt in der Ukraine ist auch ein Social-Media-Krieg. Die Heldentaten der einheimischen Bevölkerung werden rund um die Uhr in die Welt gesendet. Ein perfektes Mittel gegen den Desinformation-sautokraten Putin.

TEXT: CONSTANTIN ECKNER

Ein Star des Ukraine-Kriegs  ist Illia Ponomarenko. Der Journalist der Zeitung „The Kyiv Independent“, die für ihre unermüdliche Berichterstattung international gefeiert wird, teilt in seinem Twitter-Feed nahezu stündlich neueste Entwicklungen aus dem Kriegsgebiet. Dabei scheut sich Ponomarenko, der aus einer Kleinstadt aus dem Donbass stammt, auch nicht, an der Seite seiner bewaffneten Landsleute die Gefechte zu verfolgen. Objektiv ist er nicht. Gelegentlich teilt er Bilder von Panzerabwehrwaffen oder Sturmgewehren und schreibt Sätze wie: „Ich kann bestätigen, diese Babys befinden sich quasi an jeder Ecke auf ukrainischer Seite.“ Manche seiner Follower sind besorgt, dass er mit Fotos den russischen Diensten wichtige Informationen liefert. Aber Ponomarenko scheint zu wissen, was er tut.

Schauspiel-Profi Präsident

Ein anderer Ukrainer, der gewiss weiß, was er tut, ist Präsident Wolodymyr Selenskyj. In der Vergangenheit wurden Schauspieler, die in die Politik einstiegen, gerne verlacht – nach dem Motto, Politik sei schon genug Theater, da brauche es nicht auch noch ausgebildete Profis. Aber es kommt dem charismatischen Staatslenker nun zugute, dass er jahrelange Kameraerfahrung besitzt und sich bestens verkaufen kann. Geschauspielert ist bei Selenskyj in diesen Kriegstagen wohl wenig, aber Inszenierung ist trotzdem dabei. Gleich zu Beginn der russischen Invasion legt er den förmlichen Anzug zur Seite und trägt fortan einfarbige T-Shirts. Sein verschmitztes Lächeln hat er nicht ganz verloren. Er ist ein Mann des Volkes, der über die bekannten Social-Media-Kanäle Führungsstärke und auch Optimismus ausstrahlen möchte.

Viele Menschen empfinden großen Respekt vor dem Heldentum der ukrainischen Truppen und der Zivilbevölkerung.

Bilder für die Moral

Viele Menschen empfinden großen Respekt vor dem ukrainischen Heldentum; viele sind beeindruckt vom Kampfeswillen der regulären Truppen und vor allem der Zivilbevölkerung. Derartiges Heldentum hat sich zwar auch in Bosnien, Libyen und Tschetschenien entwickelt, aber Bilder von den heldenhaften Taten fanden nicht über Twitter, Instagram und TikTok den Weg in alle Welt. Der Ukraine-Krieg ist in diesem Sinne der erste „Social-Media-Krieg“ auf dem europäischen Kontinent. Die Ukrainerinnen und Ukrainer haben verstanden, dass sie gegen den Desinformationsautokraten Wladimir Putin nur gewinnen können, wenn sie so viel wie möglich vom Geschehen in den Städten und Regionen teilen. Das ist gut für die Moral im Inland und wichtig für den Ruf nach weiterer Unterstützung aus dem Ausland.

Allerdings besteht in einem solchen Social-Media-Krieg die Gefahr, dass die Menschen schnell abstumpfen. Vor dem Zeitalter der 24/7-Berichterstattung auf diversen Plattformen gab es zwar auch Bilder von Schlachtfeldern, aber sie erschienen vereinzelter und waren dadurch womöglich eindrücklicher. Wer heute aus der Ukraine Bilder postet, dürfte freilich kaum auf solche Weise medienstrategisch denken, sondern will schlicht einen Beleg der eigenen Taten in die Welt hinaussenden. Wenn eine Einwohnerin von Cherson beispielsweise bei TikTok ein Video hochlädt, in dem zu sehen ist, wie einfache Zivilisten gegen russische Soldaten protestieren, die sich nicht anders zu helfen wissen, als in die Luft zu schießen, dann liefert sie damit tatsächlich ein starkes Symbol für die Furchtlosigkeit der Ukrainer. Wenn Bilder auf Twitter geteilt werden, auf denen zerstörte russische Panzer entlang von Landstraßen zu sehen sind, sind dies ebenso starke Symbole für den ukrainischen Widerstand.

Die Ukrainer gewinnen die mediale Schlacht gegen den eher traditionell ausgerichteten Kreml mit meilenweitem Vorsprung. Das zeigt sich selbst auf Plattformen, die bisher eher von Russland- und Putin-Freunden dominiert wurden, allen voran Telegram, das unter der Leitung des russischstämmigen CEO Pawel Durow steht. Dort müssen die einschlägigen Querdenker- und Rechtsaußen-Gruppen im deutschsprachigen Raum mittlerweile ihre Tonalität anpassen. Selbst die treusten Schoßhunde des Kremls können sich dort nicht mehr unverhohlen an die Seite Putins stellen. Recherchen zufolge wird Telegram allerdings auch weiterhin von Kreml-treuen Russen in der Ukraine genutzt, um vor Ort eine Form der Spionage zu betreiben.

Selbst die treusten Schoßhunde des Kremls können sich auf Telegram nicht mehr unverhohlen auf die Seite Putins stellen.

Propaganda-Narrative

Wie wird sich der Ukraine-Krieg in den sozialen Medien weiterentwickeln? Moskau hat schon lange seine Karten offengelegt und zumindest in der Ukraine und im Westen keinen Erfolg mit seinen propagandistischen Narrativen gehabt. Die angeblich notwendige Entnazifizierung der Ukraine war der schwache Versuch einer Begründung für den Angriffskrieg; im Westen rief das nur Fassungslosigkeit hervor. Der Kreml kann allenfalls noch darauf einwirken, dass der Informationsfluss zumindest in Russland beschränkt bleibt und dass die eigene Bevölkerung nicht allzu viele Heldentaten von ukrainischen Brüdern und Schwestern zu sehen bekommt. Die Ukrainer selbst werden wie gehabt weiter so viele Bilder wie nur möglich in die Welt transportieren. Dabei wird sich in West- und Zentraleuropa die Aufmerksamkeit sehr wahrscheinlich irgendwann weiter in Richtung innenpolitischer Themen verschieben, die teils nur mittelbar mit dem Krieg einige Tausend Kilometer entfernt zu tun haben.

So viele Bilder wie möglich

Was bleibt, ist die neuerliche Erkenntnis, dass die sozialen Medien nicht nur den Jüngeren gehören. In der Ukraine ist der Durchschnitt der Bevölkerung mit Posts aktiv und weiß die jeweiligen Plattformen zu nutzen. Das Sendungsbewusstsein der Menschen im zivilen Widerstand ist enorm. Ihre Nutzung der sozialen Medien sorgt mit dafür, dass das Ausland die Geschehnisse in der Ukraine nicht ignorieren kann. Dabei ist es eine wichtige Ressource, dass viele Ukrainerinnen und Ukrainer kein Problem mit Englisch als Verständigungssprache haben – anders als die Aufständischen im Arabischen Frühling und den folgenden Bürgerkriegen. Solange die einschlägigen Plattformen in der Ukraine verfügbar sind, wird uns der russische Angriffskrieg im Live-Feed weiter hautnah verfolgen: ein steter Stachel im Fleisch.

Constantin Eckner ist Journalist sowie Radio- und Fernsehmoderator. Er arbeitet unter anderem für den Deutschlandfunk und die BBC.

Constantin Eckner ist Journalist sowie Radio- und Fernsehmoderator. Er arbeitet unter anderem für den Deutschlandfunk und die BBC.

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