SANKTIONEN

Die Waffen der Finanzwelt

Das historische Sanktionspaket der G7 als Reaktion auf den russischen Angriff zeigt, wie sich das Finanzwesen in geopolitischen Konflikten einsetzen lässt. In Zukunft wird man mehr darauf achten, asymmetrische Abhängigkeiten zu vermeiden.

TEXT: SVEN HILGERS

SANKTIONEN

Die Waffen der Finanzwelt

Das historische Sanktionspaket der G7 als Reaktion auf den russischen Angriff zeigt, wie sich das Finanzwesen in geopolitischen Konflikten einsetzen lässt. In Zukunft wird man mehr darauf achten, asymmetrische Abhängigkeiten zu vermeiden.

TEXT: SVEN HILGERS

Der russische Überfall auf die Ukraine vertreibt die letzten Illusionen über die Weltordnung nach dem Kalten Krieg. Ein Konflikt zwischen zwei großen Staaten, von denen noch dazu einer Atommacht ist – das galt als überholt. Doch es verschwinden auch andere politische Gewissheiten. Das Sanktionspaket der westlichen Staaten um die Europäische Union und die Vereinigten Staaten ist so umfassend, dass es nahezu alle Politikfelder berührt. Besonders stark betroffen ist das Finanzsystem.

Die Maßnahmen der G7 und weiterer Staaten gegen Moskaus Krieg gelten als eines der größten Sanktionspakete der Geschichte. Es umfasst weitreichende Sanktionen in nahezu allen Wirtschaftszweigen. Hinzu kommen personenbezogene Sanktionen gegen Geschäftsleute, Oligarchen und Politiker. Damit wird die gesamte kleptokratische Clique um den russischen Präsidenten Wladimir Putin weitgehend vom westlichen Finanzsystem ausgeschlossen. Die Vermögenswerte ihrer Mitglieder werden eingefroren, und die Behörden gehen entschiedener als bisher gegen kriminelle Machenschaften vor. Sehr effektiv sind zudem die Maßnahmen im Finanzwesen, beispielsweise der Ausschluss wichtiger russischer Banken aus dem Finanzkommunikationsnetzwerk Swift und die Sanktionen gegen die russische Zentralbank.

Maßnahmen gegen Zentralbanken sind nicht üblich. Im Vergleich zum Swift-Ausschluss sind sie öffentlich auch nur wenig erörtert worden. Bislang haben die Vereinigten Staaten lediglich die Zentralbanken von Nordkorea, Venezuela und dem Iran mit Sanktionen belegt. Ein ähnliches Vorgehen gegenüber einem G20-Mitglied galt bislang wegen der Folgen für das globale Finanzsystem als unwahrscheinlich. Durch die Entscheidung, alle Transaktionen mit der russischen Zentralbank zu verbieten, ihre Vermögenswerte einzufrieren und alle Geschäfte in Dollar zu untersagen, hat die Koalition die Möglichkeiten der Zentralbank stark eingeschränkt, den Rubel zu stabilisieren.

Der Westen hat demonstriert, dass er in allen Politikfeldern handlungsfähig ist. Das dürfte auch in Peking aufmerksam verfolgt werden.

Wertverlust des Rubels

Bisher gelingt es der russischen Zentralbank nicht, den Wertverlust der eigenen Währung aufzuhalten. Das treibt auch die Inflation in Russland an. Damit verstärken die Sanktionen gegen die Zentralbank den Effekt aller anderen Wirtschaftssanktionen: Die Zentralbank muss geldpolitische Entscheidungen treffen, die sich negativ auf die Gesamtwirtschaft auswirken, beispielsweise über Zinserhöhungen. Ob das reicht, um Putin dazu zu bewegen, ernsthaft zu verhandeln und den Krieg zu beenden, bleibt fraglich. Doch die Entschlossenheit, mit der die EU, die transatlantische Allianz und die liberalen Demokratien in aller Welt auf den Angriff reagieren, hinterlässt Spuren. Der Westen hat demonstriert, dass er in allen Politikfeldern handlungsfähig ist. Das dürfte auch in Peking als entschiedenes gemeinsames Vorgehen aufmerksam verfolgt werden.

In Europa ist diese Entschlossenheit im Einsatz finanzieller Maßnahmen Ausdruck eines neuen Blicks auf autoritäre Staaten wie China und Russland. In den vergangenen Jahren haben die geopolitischen Spannungen zwischen liberalen Demokratien und autoritären Regimen in erheblichem Maße zugenommen. Es ist daher wenig überraschend, dass China sich bisher nicht zu einer Verurteilung des völkerrechtswidrigen russischen Angriffskrieges durchgerungen hat. Beide Staaten versuchen, von der amerikanischen und europäischen Finanzinfrastruktur unabhängiger zu werden, aber gleichzeitig die Offenheit westlicher Gesellschaften und Märkte weiter auszunutzen, um strategische Ambitionen regional und global voranzubringen.

Die Motivationen der Europäer sind anders. Dort standen in der Phase nach dem Kalten Krieg wirtschafts- und finanzpolitisch lange vor allem Wohlstand, solide Finanzen und „Wandel durch Handel“ im Vordergrund. Man fühlte sich in Sicherheit, was dazu verleitete, gegenüber geopolitischen Risiken nachlässig zu werden. Ob mit Blick auf die Energieversorgung, auf die Privatisierung staatlicher Infrastruktur oder auch nur auf günstige Importe – es wurde nicht hinterfragt, in welche Abhängigkeiten sich Teile der EU begaben. Geld von Oligarchen, ob legal oder illegal, hat man in europäischen Städten wie London gern angenommen. Heute sind die Folgen spürbar.

Systematische Abhängigkeit vermeiden

Wegen dieser Versäumnisse nun von den Prinzipien stabiler Finanzen und einer soliden Haushaltspolitik abzurücken, wäre falsch. Aber es ist auch klar, dass andere Erwägungen gerade in einer Zeit geopolitischer Spannungen an Bedeutung gewinnen. Bei der Vergabe eines staatlichen Auftrags oder bei der Privatisierung wird man künftig nicht mehr allein nach dem Preis schauen, sondern außerdem asymmetrische Abhängigkeiten vermeiden wollen. Liberale Demokratien gehen nunmehr gemeinsam dagegen vor, wenn – wie zuletzt in Litauen und Australien geschehen – autoritäre Staaten versuchen, mit wirtschaftlichem Druck demokratische Entscheidungen und freie Meinungsäußerung zu unterminieren. Autoritärer Aggression wird nun mit effektiveren Instrumenten auch im Finanzwesen kraftvoll begegnet. Dabei geht es nicht immer nur um Sanktionen gegen Staaten. Auch Oligarchen geraten ins Visier. Denn sie haben in der Vergangenheit von einer zurückhaltenden Strafverfolgung im Bereich der Wirtschaftskriminalität profitiert. Der Finanzplatz London („Londongrad“) hat sich dabei vor allem als Hafen für illegales Geld etabliert und gefährliche Abhängigkeiten geschaffen.

Doch nicht nur dort wird die Verbindung zwischen der verbesserungsfähigen Bekämpfung von Geldwäsche und dem Systemwettbewerb deutlich. Die meisten, wenn nicht alle autoritären Regime haben kleptokratische Elemente, weil sie von einer Elite geführt werden, die nur wenige oder keine rechtsstaatliche Begrenzung ihrer Macht kennen. Russland ist hier nur ein Beispiel von vielen. Aber hierin liegt eine entscheidende Achillesferse dieser Regime.

Personenbezogene Sanktionen sind wichtig

Das Ausmaß, in dem illegales Geld staatliche Strukturen in liberalen Demokratien korrumpiert hat, ist ein Problem für den betroffenen Staat selbst, aber auch für die Länder, in denen das Geld durch Korruption und Klientelismus gestohlen worden ist. Das Angebot an Geldwäsche in Finanzzentren ist ein elementarer Bestandteil dieses Systems. Deswegen sind die personenbezogenen Sanktionen jetzt im Vorgehen gegen das Putin-Regime so wichtig. Sie sollten der Startschuss für eine koordinierte Kampagne liberaler Demokratien gegen schmutziges Geld sein. Ein entschiedenes Vorgehen ist nicht nur ein wirksames Instrument gegen kleptokratische Eliten autoritärer Regime, sondern es ist auch rechtsstaatlich geboten.

Das Zusammenspiel von Geopolitik und Finanzsystem ist nicht neu, aber im intensiveren Systemwettbewerb kommt dem Finanziellen eine entscheidende Rolle zu. Die Herausforderung besteht darin, andere wichtige Ziele nicht aus den Augen zu verlieren. Eine geopolitische Krise setzt die Grundregeln soliden wirtschaftlichen Handels nicht außer Kraft. Schon das Beispiel der Bekämpfung von Wirtschaftskriminalität oder der Durchsetzung von Wettbewerbsregeln zeigt, wie rechtsstaatliches und marktwirtschaftliches Handeln ineinandergreifen.

Ein funktionierendes Wirtschaftsmodell mit einer soliden Finanzpolitik schafft den notwendigen Spielraum, um effektiv gegen aggressive Autokraten und Kleptokraten vorzugehen. Hilfreich ist dabei eine engere Kooperation der liberalen Demokratien – in der Bekämpfung von illegalem Geld, im Einsatz von Sanktionen, in der gegenseitigen Unterstützung bei Gegensanktionen.

Sven Hilgers ist Referent für Internationale Wirtschaft im Referat für Globale Themen bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

Sven Hilgers ist Referent für Internationale Wirtschaft im Referat für Globale Themen bei der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit.

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