UMKÄMPFTE KULTUR

Die Krim heute: Der Eroberer macht mit der Beute, was er will

Es ist ein Zerstörungswerk auf allen Ebenen. Wie die Russen daran arbeiten, die Geschichte und Kultur der Halbinsel umzuschreiben.

TEXT: OKSANA SCHUR

UMKÄMPFTE KULTUR

Die Krim heute: Der Eroberer macht mit der Beute, was er will

Es ist ein Zerstörungswerk auf allen Ebenen. Wie die Russen daran arbeiten, die Geschichte und Kultur der Halbinsel umzuschreiben.

TEXT: OKSANA SCHUR

Auf der Krim erschienen 2014 russische Soldaten. Das war furchtbar, aber weder neu noch ungewöhnlich. Schon Katharina die Große annektierte die Halbinsel 1783 mit Gewalt, und die russische Kolonisierung war seither nur kurz unterbrochen: in der Zeit der Welt- und Bürgerkriege des 20. Jahrhunderts sowie nach der Gründung des heutigen ukrainischen Staates vor mehr als zwei Jahrzehnten. Jetzt aber haben die Russen nicht nur die Kontrolle über alle Lebensbereiche auf der Krim, inklusive der Kultur, sie nutzen die örtliche Verwaltung zudem zu kolonialistischen Zwecken: Mit ihrer Hilfe sollen Geschichte und Kultur der Krim umgeschrieben werden.

Dieser goldene Halsring stammt aus dem 2. Jh. v. Chr. Zu sehen war er in der Ausstellung „Die Krim – Gold und Geheimnisse des Schwarzen Meeres“ im Allard Pierson Museum in Amsterdam.

Diplomatischer Widerstand

Das nimmt die Ukraine allerdings nicht widerstandslos hin. Eine Strategie der ukrainischen Regierung besteht da-rin, internationale Mechanismen und Institutionen, die sich für Kulturgüter einsetzen, für den Schutz zu nutzen. Diese Strategie wurde 2021 auf dem Eröffnungsgipfel der Krim-Plattform erörtert, einer Initiative der ukrainischen Außenpolitik mit der Absicht, die Besetzung mit diplomatischen Mitteln zu beenden. Der Umgang mit Kulturgütern ist zudem Teil der 2021 verabschiedeten Strategie zur Deokkupation und Reintegration der Krim.

Einer der bekanntesten Streitfälle um das kulturelle Erbe der Krim auf internationaler Ebene ist das sogenannte Skythengold. Einige Hundert Exponate, die auch 2014 in der Ausstellung „Krim: Gold und Geheimnisse des Schwarzen Meeres“ in Amsterdam zu sehen waren, gehören zum Museumsfonds des ukrainischen Staates. Ein Teil dieser Exponate ist nach der Ausstellung in die Museen in Kiew und Odessa zurückgekehrt. Die Exponate jedoch, die aus den Sammlungen von vier Museen der Autonomen Republik Krim stammen, sind seit 2014 Gegenstand internationaler Rechtsstreitigkeiten: Russland beanspruchte die Artefakte nach der Krim-Besetzung für sich. Am 26. Oktober 2021 urteilte das Appellationsgericht in Amsterdam zugunsten der Ukraine. Allerdings kann Russland Berufung gegen den Richterspruch einlegen; das endgültige Urteil steht noch aus. Wie es vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse damit weitergeht, ist unklar. Vorläufig bleiben die Exponate in Amsterdam eingelagert.

Einer der bekanntesten Streitfälle um das kulturelle Erbe der Krim ist das Skythengold.

Umwidmung antiker Stätte

Es geht aber nicht nur um das Skythengold. Gemäß einem Unesco-Bericht vom September 2021 hat sich Russland mit der Besetzung 4095 historische Denkmäler auf der Krim angeeignet. Das Ziel Russlands sei, damit die historische, kulturelle und religiöse Dominanz über Geschichte, Gegenwart und Zukunft der Krim strategisch zu verwirklichen, heißt es in dem Bericht. Ein Beispiel ist der Umgang mit dem taurischen Chersones. Die spektakulären Ruinen dieses Stadtstaates, ein Denkmal der Antike und der byzantinischen Zeit, befinden sich in der Nähe von Sewastopol. Bereits 2013 fanden Chersones und das umliegende Gebiet Aufnahme in die Welterbeliste der Unesco.

Vor der Krim-Besetzung war Chersones weithin als jahrtausendealtes Denkmal vieler Kulturen anerkannt. Doch der Eroberer macht mit der Beute, was er will: Russland interpretiert Chersones zur Wiege des Christentums um, weil der Legende nach der Heilige Wladimir, Täuferfürst der mittelalterlichen Kiewer Rus, hier angeblich den neuen Glauben angenommen hat. Begründung: Im 19. Jahrhundert wurde auf dem Gebiet eine orthodoxe Kirche erbaut, die Wladimir-Kathedrale. Für die geschichtliche Umwidmung und ihre Popularisierung soll nun kräftig gebaut und die Kathedrale in Szene gesetzt werden. Im August 2021 wurde das Konzept für einen historisch-architektonischen Park ver--öffentlicht. Es sollen alte Straßen, Gebäude und Museen rekonstruiert werden, auch neue Straßen und eine Tiefgarage sind vorgesehen. Das Denkmal verliert schon jetzt seinen originären historischen Wert. Auf dem Gelände findet jedes Jahr ein internationales Opern- und Ballettfestival statt, mit vielen Besuchern und massiver Bühnentechnik. Zudem wurden wesentliche museale Werte aus dem Denkmalschutzgebiet entfernt.

Archäologische Ausgrabungen an der historischen Kulturstätte erfolgen in Zusammenarbeit mit dem Verteidigungsministerium; der Umgang mit den Funden ist hanebüchen. Es wird schwere Technik eingesetzt – so schwer und zerstörerisch, dass in dem Unesco-Bericht von einer Gefährdung des Welterbestatus die Rede ist. Aktivisten berichten zudem, dass bei einer Ausgrabung und dem unmittelbaren Transport einer mittelalterlichen Gruft große Mengen Erde abtransportiert wurden, in der sich Bruchstücke von Artefakten befanden. Außer im taurischen Chersones arbeiten Archäologen auf der Halbinsel Kertsch und führen Notausgrabungen an der „Taurida“-Fernstraße aus. Zu diesen Ausgrabungen reisen auch Freiwillige aus Russland an, unter anderem ganze Sommerschulen, die mit Jugendstipendien des Präsidenten unterstützt werden.

Auch diese Exponate sind Teil der Ausstellung in Amsterdam. Das Museum hatte die Kollektion von der Ukraine vor der russischen Annexion der Krim ausgeliehen. Nun ist unklar, an wen sie zurückgegeben werden soll.

Sämtliche archäologischen Projekte werden von russischen Fachleuten und Beamten geleitet und koordiniert. Als Museumsdirektoren hat man Russen ernannt, die für ihre Aufgabe oft nicht ausreichend qualifiziert sind. Das örtliche Institut für Archäologie ist faktisch Auftragnehmer der Russischen Akademie der Wissenschaften, welche die Ausgrabungsorte und den Umgang mit dem kulturellen Erbe bestimmt. Um die Arbeiten öffentlich zu legitimieren, werden auch ukrainische Wissenschaftler eingespannt. Nach Angaben von Ewelina Krawtschenko vom Institut für Archäologie der Nationalen Akademie der Wissenschaften der Ukraine, die mehr als 15 Jahre an Forschungen auf der Krim beteiligt war, wird ihnen dafür häufig vorgeschlagen, Koautoren von Publikationen zu werden oder alte Forschungsergebnisse in Russland neu aufzulegen.

Gegen diese Entwicklung lässt sich gerade vor dem aktuellen Hintergrund derzeit kaum etwas tun. Es bleibt nur die traurige Aufgabe, die Verstöße zu erfassen und zu dokumentieren.

Alle archäologischen Projekte werden von Russen geleitet. Oft haben sie keine ausreichende Qualifikation dafür.

Oksana Schur ist Literaturkritikerin und Publizistin. Sie arbeitet beim Kultur- und Museumskomplex Mystezkyj Arsenal in Kiew, wo sie das internationale Programm und literarische Festivals kuratiert.

Oksana Schur ist Literaturkritikerin und Publizistin. Sie arbeitet beim Kultur- und Museumskomplex Mystezkyj Arsenal in Kiew, wo sie das internationale Programm und literarische Festivals kuratiert.

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