STRAFANZEIGE

Kriegsverbrechen
verjähren nicht

Zusammen mit Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D., hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a. D., Strafanzeige gegen Wladimir Putin und seine Schergen erstattet. Die russischen Kriegsverbrechen sollen nicht ungesühnt bleiben.

TEXT: SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

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Kriegsverbrechen verjähren nicht

Zusammen mit Gerhart Baum, Bundesinnenminister a. D., hat Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundesjustizministerin a. D., Strafanzeige gegen Wladimir Putin und seine Schergen erstattet. Die russischen Kriegsverbrechen sollen nicht ungesühnt bleiben.

TEXT: SABINE LEUTHEUSSER-SCHNARRENBERGER

Mit dem Inkrafttreten des Römischen Statuts des Internationalen Strafgerichtshofs (IStGH) am 1. Juli 2002 können Personen, die an einem bewaffneten Konflikt mitwirken, vor dem IStGH angeklagt werden. Das gilt für Regierungsmitglieder, Befehlshaberinnen und Befehlshaber oder Soldatinnen und Soldaten. Seither hat der IStGH vorwiegend gegen Warlords und Milizionäre, aber auch gegen Staatschefs ermittelt und einige Urteile mit Haftstrafen ausgesprochen. Doch der IStGH ist mangels Kapazitäten auch auf die Unterstützung durch die Vertragsstaaten angewiesen. Dadurch kommt der zusätzlichen nationalen Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen große Bedeutung zu. Gemeinsam müssen nationale Staatsanwaltschaften und der internationale Chefankläger gegen das im Krieg begangene Unrecht gegen Zivilisten mit der Stärke des Rechts vorgehen. 

Das Weltrechtsprinzip („Universalitätsprinzip“) versetzt Deutschland rechtlich in die Lage, das nationale Strafrecht auch auf Sachverhalte anzuwenden, die keinen spezifischen Bezug zum Inland haben, bei denen also weder der Tatort im Inland liegt („Territorialitätsprinzip“) noch der Täter oder das Opfer die Staatsangehörigkeit des betroffenen Staates besitzen („Personalitätsprinzip“). Der Generalbundesanwalt kann in Deutschland die Delikte verfolgen, die unmittelbar nach dem Völkerstrafrecht strafbar sind, also Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Und er tut dies auch. So verurteilte das OLG Stuttgart im September 2015 den ruandischen Rebellenführer Ignace Murwanashyaka und seinen Stellvertreter Straton Musoni wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Im Januar 2022 verurteilte das OLG Koblenz den ehemaligen Mitarbeiter des syrischen Geheimdienstes Anwar R. unter anderem wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu lebenslanger Haft.

Gerhart Baum und ich haben in unserer Strafanzeige zunächst 32 Männer und eine Frau namentlich genannt, darunter Putin, die Außen-, Verteidigungs- und Innenminister, Kommandeure und Befehlshaber. Es folgen mit detaillierten Bezeichnungen Divisionen und Brigaden der russischen Luftlandetruppen, des Heeres, der Luftwaffe und der Marine. Diese Liste dürfte noch wachsen.

Auszüge aus der Strafanzeige gegen 33 Personen – unter ihnen Präsident Putin:

Eine Haftung als mittelbare Täter kraft Organisationsherrschaft gem. § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB ist naheliegend. -Sie ist anzunehmen, wenn eine Person innerhalb eines organisatorischen Machtapparates regelhafte Abläufe auslöst, die zur Begehung einer Straftat führen. Diese Täterschaftsform kann, wenn sie von mehreren Personen gemeinsam ausgeübt wird, auch in der Form mittelbarer Mittäterschaft oder Mittäterschaft in mittelbarer Täterschaft bestehen. Die Rechtsprechung hat die mittelbare Täterschaft kraft Organisationsherrschaft umfangreich anerkannt und fortentwickelt und dabei auch deutlich gemacht, dass auch Entscheidungsträger auf mittleren Hierarchieebenen eines Machtapparates mittelbare Täter sein können. Zudem hat der Bundesgerichtshof auch die strafrechtliche Verantwortlichkeit mehrerer Hintermänner, die in Gremien- oder Ausschusssituationen durch ihr Abstimmungsverhalten staats- und politiktragende (rechtswidrige) Befehle verabschiedet haben, gleich in seinem ersten Fall bejaht. Die angezeigten Personen nehmen unterschiedliche Positionen im russischen Staatsapparat ein. Die meisten der Angezeigten sind offiziell, also de facto und de jure in den Apparat eingebunden und bekleiden dort hohe politische und militärische Ämter. Andere Angezeigte gehören den mittleren Hierarchieebenen des russischen Militärs an. (…)

Befehle ausführen

Für alle Angezeigten muss davon ausgegangen werden, dass sie in reibungslos funktionierende staatliche Entscheidungsstrukturen eingebunden sind. Im Rahmen dieser Strukturen werden die Entscheidungen des Angezeigten Putin als Staatsoberhaupt durch die Mitglieder des nationalen Sicherheitsrates der Russischen Föderation angenommen und anschließend in der staatlichen administrativen und militärischen Hierarchie „nach unten“ weitergegeben. Dabei werden die Entscheidungen auf den nachfolgenden Ebenen weiter konkretisiert und zwischen den verschiedenen Zweigen des Staatsapparates abgestimmt. Die Angezeigten unterhalb der Ebene der Mitglieder des nationalen Sicherheitsrates nehmen dann eigenständige Entscheidungspositionen innerhalb des Machtapparates ein. (…)

Die überwältigende Anzahl von möglichen Straftaten gegen die Zivilbevölkerung geht weit über die hier angezeigten Taten hinaus. Zahlreiche dieser Taten legen eine vollständige Indifferenz der Ausführungstäter gegenüber den Personen und Objekten nahe, die durch das humanitäre Völkerrecht geschützt sind. Insbesondere die offenbar gezielte Tötung von Zivilpersonen, die Wahllosigkeit bei diesen Tötungen sowie der großflächige Beschuss rein zivil genutzter Stadtviertel lassen es äußerst naheliegend erscheinen, dass diese Taten in Ausführung von Plänen und Anordnungen begangen werden, die auf höchster staatlicher Ebene erteilt und auf zahlreichen nachfolgenden Hierarchieebenen konkretisiert wurden. Dazu wurden und werden auch weiterhin die festgelegten regelhaften Abläufe des russischen Staates und seiner Militärmaschinerie genutzt, was im Ergebnis auch den höchsten Ebenen von Entscheidungsträgern im Staat – normativ betrachtet – die Kon-trolle, also die Tatherrschaft, über die begangenen Taten zusichert. (…)

Für die unmittelbar im Konflikt handelnden russischen oder russisch kontrollierten Kämpfer kommt, bei unmittelbarer Beteiligung an den Angriffshandlungen in den dargestellten Fällen, zunächst eine unmittelbar täterschaftliche Haftung in Betracht (§ 25 Abs. 1 Alt. 1 StGB). Zusätzlich besteht grundsätzlich jedenfalls ein Anfangsverdacht der Beihilfe (§ 3 VStGB iVm § 27 Abs. 1 StGB) zu den o. g. Taten. Denn sowohl -bei einer Beteiligung an den unmittelbaren Kampfhandlungen in der Ukraine als auch bei unterstützenden Tätigkeiten innerhalb der militärischen Operationen der russischen und russisch kontrollierten Truppen besteht die Möglichkeit, dass Kämpfer Beiträge erbracht haben, die die Begehung der oben geschilderten Taten jedenfalls gefördert haben. Dabei besteht auch die Möglichkeit, dass die Förderung solcher etwaiger Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen jedenfalls bedingt vorsätzlich stattfand. (…)

Immunität gibt es nicht

Eine materielle oder funktionale Immunität (ratione materiae) für Völkerrechtsverbrechen, die aus staatlichen Ämtern heraus begangen werden, existiert nicht: „Verbrechen gegen das Völkerrecht werden von Menschen und nicht von abstrakten Wesen begangen.“ Deswegen können auch höchste staatliche Amtsträger, die Völkerstraftaten in Ausübung ihrer amtlichen Funktionen befehlen, individuell strafrechtlich verantwortlich sein. (…) Die nur zeitlich wirkende persönliche Immunität (ratione personae) gem. §§ 18 Abs. 1, 20 Abs. 2 GVG ist auf Staatsoberhäupter, Regierungschefs und Minister begrenzt, sodass sie für zahlreiche der hier angezeigten Personen überhaupt nicht, d. h. auch gegenwärtig nicht gilt. Für die Angezeigten, Wladimir Wladimirowitsch Putin, den Ministerpräsidenten Michail Wladimirowitsch Mischustin und die Minister der Russischen Föderation endet diese Immunität in dem Moment, in dem sie ihr Amt verlassen. Bis dahin verjähren die von ihnen geplanten, organisierten, befohlenen und durchgeführten Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen gem. § 5 VStGB nicht. (…)

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Juristin und Bundesjustizministerin a.  D. Für ihr Engagement wurde sie u.  a. mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Seit Januar 2019 ist sie Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

Sabine Leutheusser-Schnarrenberger ist Juristin und Bundesjustizministerin a.  D. Für ihr Engagement wurde sie u.  a. mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt. Seit Januar 2019 ist sie Mitglied des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs.

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