MUT ZUM AUFBRUCH

„Wir brauchen Widerstandsfähigkeit“

Der langjährige Wirtschafts-Sachverständige Lars Feld über das Geschäftsmodell Deutschland, die Zeitenwende im Quadrat und sein Narrativ für Reformen.

INTERVIEW: MARGARET HECKEL
ILLUSTRATIONEN: ANDREA UCINI

MUT ZUM AUFBRUCH

„Wir brauchen Widerstandsfähigkeit“

Der langjährige Wirtschafts-Sachverständige Lars Feld über das Geschäftsmodell Deutschland, die Zeitenwende im Quadrat und sein Narrativ für Reformen.

INTERVIEW: MARGARET HECKEL
ILLUSTRATIONEN: ANDREA UCINI

Herr Professor Feld, was ist das Kernproblem der Wirtschaft?

Das ist gar nicht so einfach zu sagen, weil wir einander überlappende Krisen haben: Corona, die Energieversorgung, hohe Inflationsraten. Daneben gibt es vier strukturelle Probleme: Erstens die Demografie mit dem Fachkräftemangel, zweitens den Übergang zur Klimaneutralität, drittens die Notwendigkeit der Digitalisierung vor allem im öffentlichen Bereich. Das vierte Thema ist mit dem Ukraine-Krieg verbunden und nicht zuletzt wegen der Rivalität des Westens mit China insgesamt schwerer zu fassen: die geopolitischen Herausforderungen.

Die Zeitenwende im Quadrat, sozusagen?

Ja. Es geht nicht nur darum, wie schnell sich die Unternehmen umstellen können, wenn die Geschäfte mit China nicht mehr so gut laufen. Wenn die Rivalität zwischen China und dem Westen auch nur vorübergehend den Anschein erweckt, dass das Regierungsmodell der Volksrepublik erfolgreicher ist, werden Schwellenländer in die gleiche Richtung wandern. Das stellt uns dann vor sehr, sehr große Probleme, weil so wahnsinnig viel daran hängt – nicht nur der Außenhandel, auch das Klima.

Wie sollten wir strategisch an diese Schichtung der Krisen herangehen? Sollten wir uns eine nach der anderen vorknöpfen? Oder alle auf einmal?

Wir müssen diese Themen parallel angehen. Um sich nicht zu verzetteln, sollten sich die Fachleute für die einzelnen Problemkreise um ihre Themen kümmern, sich aber zudem regelmäßig untereinander abstimmen. In einem Föderalstaat wie dem unseren kommt hinzu, dass sich die einzelnen staatlichen Ebenen untereinander koordinieren müssen. Deshalb muss die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung auf der Länder- und Kommunalebene vorangetrieben werden. Abwarten ist keine Option.

Wie ist es mit der Klimawende? Reichen die Preissignale aus, die wir da haben?

Vorerst ja, aber im Zeitablauf muss der CO2-Preis weiter steigen. Die Menschen machen bei so etwas Unangenehmem durchaus mit, wenn sie wissen, wozu. Ein Punkt ist mir dabei wichtig: Wir wissen gar nicht, was die nächste Krise ist. Wir erleben jetzt eine so schnelle Abfolge von Krisen, dass die Politik vor allem eines im Blick haben muss: die Widerstandsfähigkeit, also die Resilienz, von Gesellschaft und Wirtschaft.

Sollten Politiker wichtige Reformen besser planen? 

Die Bundesregierung muss die kurzfristigen Krisen lösen und gleichzeitig auf einem Langfristkurs bleiben. Dazu gehört es, die Narrative zu prägen. Narrative sind wichtig.

Was ist das Narrativ, also die übergeordnete Erzählung, in die man die Politik sinnvollerweise verpacken sollte? Geht es um den Übergang in die CO2-freie Welt?

Mein Narrativ ist die Widerstandsfähigkeit. Wir brauchen Diversifizierung in jede Richtung, sodass der Staat auf neue Krisen reagieren kann. Für die Energieversorgung bedeutet es weniger Abhängigkeit. Für die Unternehmen bedeutet es eine gute Eigenkapitalausstattung, insbesondere für die Banken. Für den Staat bedeutet es, dass er seine Verschuldung wieder zurückfährt.

Deshalb ist die Schuldenbremse wichtig wie eh und je?

Sie ist die Grundlage für eine Politik der Widerstandsfähigkeit. Nur so haben wir den Handlungsspielraum, um die so wichtige Resilienz sicherzustellen. Das gilt ganz besonders für den Übergang in die klimaneutrale Wirtschaft. Resilienz ist der Anker von allem.

Befinden wir uns nach Zeiten des Wohlstands jetzt in einer Knappheitsökonomie?

Mir gefällt der Begriff nicht. Wenn Knappheit auftritt, gibt es Preiseffekte. So funktioniert Wirtschaft. Worüber wir diskutieren, wenn der Begriff Knappheitsökonomie fällt, sind aber eigentlich von der Politik gewollte Rationierungen. Und Rationierungen haben wenig mit dem Markt zu tun, sondern gehen eher in Richtung Kriegswirtschaft – obwohl wir nicht Kriegspartei sind. Da bin ich skeptisch.

Muss Deutschland sein Geschäftsmodell umstellen?

Keinesfalls. Wir wirtschaften bisher erfolgreich und haben daher Leistungsbilanzüberschüsse. Wir müssen uns nun allerdings andere Lieferanten für unsere Rohstoffe suchen, und wir werden die Chinaaktivitäten auf den Prüfstand stellen müssen.

Was ist mit dem Rentenalter? Wann immer eine Erhöhung gefordert wird, erhebt sich sofort ein Sturm der Entrüstung. Wäre eine weitgehende Flexibilisierung des Rentenzugangs zwischen 60 und 70 Jahren da nicht sinnvoller?

Leider wird die Flexibilisierung nicht ausreichen, so wichtig sie ist. Es gibt bis in die akademischen Berufe hinein eine relativ stark ausgeprägte Abneigung gegen die Arbeit oder, wie wir Ökonomen sagen: ein relativ stark ausgeprägtes Arbeitsleid. Die Freiwilligkeit, weiter voll zu arbeiten, hält sich in Grenzen. Wir haben allerdings glücklicherweise schon eine deutliche Zunahme von Rentnerinnen und Rentnern, die, ohne es aus finanziellen Gründen zu müssen, in Teilzeit weiterarbeiten. Zur Lösung der Finanzprobleme der Rentenversicherung wird das aber nicht ausreichen.

Der kooperative, zentralistische Föderalismus in Deutschland macht es sehr leicht, Verantwortung abzuschieben, ohne dass dies bestraft wird.

Lars P. Feld leitet das Walter Eucken Institut und hat einen Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik und Ordnungsökonomik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Der frühere Vorsitzende der „fünf Wirtschaftsweisen“ berät seit Februar Bundesfinanzminister Christian Lindner.

Sondern?

Wir haben dies im Sachverständigenrat immer wieder analysiert und eine Lösung vertreten, die auch in den skandinavischen Ländern und den Niederlanden längst in die Praxis umgesetzt ist: Wenn die Lebenserwartung zunimmt, steigt automatisch auch die Lebensarbeitszeit. Und umgekehrt.

Also arbeiten wir bis zum Alter von 70 Jahren?

Nein, eben gerade nicht. Jetzt setzen wir erst mal die Rente mit 67 Jahren in die Praxis um. Dann sehen wir, wie sich die Lebenserwartung entwickelt. Wenn man den Menschen dann sagt, dass sie pro Jahrgang ein, zwei Monate länger arbeiten müssen, dann gehen die da auch mit.

Haben sich die Kräfteverhältnisse auf dem Arbeitsmarkt endgültig in Richtung der Mitarbeitenden gedreht? Wie werden sie ihre neue Macht nutzen?

In gewisser Hinsicht schon. Klar ist, dass die Mitarbeitenden viel besser als früher die Konditionen bestimmen können. Mit dem Begriff „Macht“ wäre ich allerdings vorsichtig, weil die Tarifbindung sowohl bei den Gewerkschaften als auch bei den Arbeitgeberorganisationen stark abgenommen hat.

Wie viel Migration brauchen wir, um den demografisch bedingten Fachkräftemangel abzufedern?

Eine Zuwanderung von netto 200 000 Fachkräften pro Jahr entspricht einer Bruttowanderungsbewegung von rund 900 000 Menschen pro Jahr. Die vom früheren Arbeitsamtschef Detlef Scheele genannte Nettozuwanderung von 400 000 Fachkräften würde also bedeuten, dass jedes Jahr etwa 1,1 Millionen Menschen nach Deutschland kämen. Das ist sehr viel, aber dann wäre es immer noch nicht sicher, dass dies die demografischen Probleme lösen würde. Noch wichtiger scheint mir deshalb die Frage zu sein, wo man in großer Zahl solche Migranten herbekommt, die aus ihrer Heimat bereits die deutsche Durchschnittsproduktivität mitbringen.

Was ist mit den Robotern und der künstlichen Intelligenz, die uns die Arbeit wegnehmen?

Diese These war immer schon Unsinn. Selbst in Branchen, die durch die Digitalisierung eine sogenannte Disruption erfahren, einen abrupten, bruchhaften Wandel, bedarf es weiterhin sehr viel menschlicher Arbeit. Bei den körpernahen Dienstleistungen wie der Pflege werden Roboter zwar begrenzt eingesetzt werden können, beispielsweise beim Heben oder Umbetten von Bettlägerigen. Aber das wird den Fachkräftemangel dort nur wenig mildern.

Wie beseitigen wir den Investitionsstau in der Wirtschaft am besten?

Das Problem ist nicht das fehlende Geld, sondern dass die Verwirklichung von Projekten so langsam ist. Es gibt strukturelle Probleme bei den Genehmigungsverfahren; Regulierungen, die hemmen; unklare Zuständigkeiten von Bund und Ländern.

Damit wären wir wieder bei den föderativen Strukturen in Deutschland. Die Bundesregierung kann da nur sehr begrenzt Einfluss nehmen, oder?

Sowohl was das Bildungswesen als auch was die Verwaltung angeht, kann der Bund schimpfen, wie er will. Verantwortlich sind die Länder. Die aber schieben die Verantwortung gern auf den Bund. Wir haben in Deutschland eine Form des kooperativen, zentralistischen Föderalismus, die es sehr leicht macht, auf allen Ebenen Verantwortung abzuschieben, ohne dass dieses Verhalten bestraft wird.

Entlastet das Steuerkonzept von Finanzminister Christian Lindner tatsächlich diejenigen Bürgerinnen und Bürger, die entlastet werden müssen?

Ja, denn es ist eine überfällige Korrektur der kalten Progression. Es geht also eigentlich nicht um eine Steuerentlastung, sondern darum, die automatische Steuererhöhung der kalten Progression zumindest abzumildern. Und das Konzept berücksichtigt das Thema Verteilung durchaus – und zwar insofern, als es an der Reichensteuer nichts ändert. Weil hier die Grenze nicht verschoben wird, zahlt infolge der kalten Progression also sogar mehr, wer als Steuerzahler in diesen Bereich fällt. Hier gibt es, vom FDP-Finanzminister akzeptiert, eine Steuererhöhung.

Margaret Heckel ist freie Journalistin, Moderatorin und Buchautorin.
Seit vielen Jahren schreibt sie über das Thema demografischer Wandel und hält dazu bundesweit Workshops und Vorträge.

Margaret Heckel ist freie Journalistin, Moderatorin und Buchautorin.
Seit vielen Jahren schreibt sie über das Thema demografischer Wandel und hält dazu bundesweit Workshops und Vorträge.

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