HOFFNUNG

Zwischen Trotz und Fatalismus

In ihrer Radikalisierung ähneln die jungen 
Klimaaktivisten von heute dem mythischen Sisyphos.

Text: Wolfram Eilenberger

HOFFNUNG

Zwischen Trotz und Fatalismus

In ihrer Radikalisierung ähneln die jungen Klimaaktivisten von heute dem mythischen Sisyphos. 

Text: Wolfram Eilenberger

Und was, wenn sich nicht etwa Energie oder Wasser, sondern Hoffnung als die eigentlich kritische Ressource unserer Lebensform erwiese? Mit diesem Gedanken traf ich kürzlich den Regisseur Werner Herzog. Denn nach einer Stunde Dialog mit dem Schöpfer solch bildmächtiger Werke wie „Fitzcarraldo“, „Mein liebster Feind“ oder „Grizzly Man“ fragte ich abschließend, welches Ereignis, welche Entdeckung oder politische Dynamik ihn derzeit besonders mit Hoffnung erfülle. Herzog, mittlerweile 80 Jahre alt und mit jeder Art existenzieller Grenzsituationen bestens vertraut, musste nicht lange nachdenken. Anstatt aber zu antworten, schwieg er. Schwieg vor laufender Kamera, zehn unsagbar lange Sekunden lang. Trostlos die Zeiten, in denen selbst klarste Visionäre wissen lassen, nicht weiterzuwissen.

Zur These geformt: Nichts bedroht das Gedeihen offener Gesellschaften derzeit stärker als die zunehmende Verdunkelung des eigenen Zukunftshorizonts. Mal ganz abgesehen davon, dass bereits mit Blick auf allzu akute Krisenherde – Ukraine, Iran oder Israel oder Palästina – kaum jemand zu sagen weiß, wie ein Weg aus den jeweiligen Sackgassen aussehen mag, lauert da im Hintergrund unser aller Gedanken ein weitaus bestürzenderer Gedanke: Wer hätte es denn zu Ende des Schreckensjahres 2022 wirklich im Kopf, das Bild einer planetaren Zukunft von zehn Milliarden frei interagierenden, demokratisch organisierten und nicht zuletzt selbstbestimmt konsumierenden Menschen? Ich kenne niemanden.

In 80 Jahren um die Welt

Dabei hat besagte Bestürzung so gut wie alles mit Herzogs eigener Lebensspanne zu tun. Denn in den bald 80 ahren des Nachkriegs hat seine und unsere Generation das Antlitz dieser Erde auf eine Weise umgepflügt und verheert, wie Zehntausende Menschengenerationen zuvor nicht. Wer wie Herzog zu Ende des Zweiten Weltkriegs in einem bayerischen Gebirgstal das Licht der Welt erblickte, wurde biografischer Zeuge, wie eine noch fast feudale Landwirtschaft auf rein computergesteuerte Mähdreschergeschwader umstellte. Wie aus dem einen Dorfauto der Golf für alle, aus dem einen Dorffernseher das iPhone für alle und aus der einen Flugreise des Lebens die wie Flöhe über den Erdball hüpfenden Easy-Jetter unserer Tage wurden. Wie sich die Anzahl der Menschen auf diesem Planeten mehr als verdreifachte. Wie ein weiterer, dann atomarer Weltkrieg immer wieder wundersam ausblieb. Und nicht zuletzt, wie wir als Bürgerinnen und Bürger der liberalen Demokratien des Westens bei allem modernen Fortschrittsglauben dennoch zunehmend so taten, als gäbe es kein Morgen – ja, als sollte die Geschichte selbst mit uns enden. 

Nichts bedroht das Gedeihen offener Gesellschaften derzeit stärker als die zuneh-mende Verdunkelung des eigenen Zukunftshorizonts.

Mythen der Überforderung

Was geschieht nun mit Individuen oder Gesellschaften, wenn sich in ihnen das Bewusstsein festsetzt, vor existenziellen wie politischen Herausforderungen zu stehen, deren produktive Bewältigung sie nicht länger vernünftig erhoffen dürfen? Wie halten sie sich? Zu den ältesten und eindrücklichsten kulturellen Bildern für einen Zustand hoffnungsfreien Kontrollverlusts zählen die großen griechischen Mythen der Götterfrevler, allen voran die von Sisyphos und von Atlas. Und wem käme beim mythischen Sisyphos heute nicht sofort ein Klimaaktivist in den Sinn, der jeden Freitagmorgen wieder den Stein kritischer Bewusstwerdung in Bewegung bringt, um selbigen schon am folgenden Tag im Rausch des nachhaltig mobilitätsfrohen Wochenendkonsums seiner Mitmenschen fröhlich heruntergestoßen zu sehen? Wie das gesamte Feld der Klimabewegten mittlerweile sisyphoshaft zwischen trotziger Jetzt-erst-recht-Stimmung und dem abgründigen Fatalismus bereits überschrittener Kipppunkte zu pendeln scheint. Der in wenigen Monaten vollzogene Umschlag von einer Rhetorik tätiger Zukunftshoffnung (Fridays for Future) ins apokalyptische Register der „letzten Generation“ offenbart, welches Schicksal Bewegungen erwartet, denen die Gründe und Bilder für vernünftiges Hoffen ausgehen. Sie radikalisieren sich aufs eigene Ende hin. Nichts ist schwerer jedenfalls, als sich einen klimabewussten Jungaktivisten als glücklichen Menschen vorzustellen.

Schuld und Schultern

Wen mag es da verwundern, dass sich die jungen Aktivisten mittlerweile lieber an Ort und Stelle festkleben, als forsch voranzumarschieren, und als Folge ihrer eigenen Imaginationsnot in Sachen Zukunft vermeinen, die großen Bildwerke unserer Tradition gleich mit verschandeln zu müssen. Das Verantwortungsbewusstsein, innerhalb einer Generation – gar nur einer Dekade – sämtliche Überlebensprobleme der heutigen wie zukünftigen Weltbevölkerungen auf einmal schultern zu müssen, hat etwas notwendig Erdrückendes. Kein besseres Bild für solch kolossale Selbstverweisung als das des mythischen Atlas, dessen Strafmission bekanntlich darin besteht, mit ureigener Kraft dafür geradezustehen, dass uns der Himmel dereinst nicht auf den Kopf falle. Ein Auftrag, an dem bereits Titanen zu zerbrechen drohen, im sich zunehmend apokalyptisch begreifenden Anthropozän fällt er ganz auf uns Endliche zurück. Was nicht nur ein bisschen eitel erscheint, sondern das Bedenken mitführt, wie das alles schon rein aus psychologischer Sicht jemals gut gehen soll. Vor allem, wenn man bedenkt, dass es nichts anderes als die Wahnidee einer zunehmend totalen technischen Naturbeherrschung und -zurichtung war, die uns überhaupt in die kontemporäre Sackgasse geführt hat. 

Atlas trägt allzu schwer an seiner Last. Täglich droht sie ihn in die Knie zu zwingen. Er ist nicht nur ein Wesen ohne Hoffnung, sondern geradezu das mythische Gegenbild dessen, was es heißt, sich ein wahrhaft freies Menschenleben vorzustellen. Er ist der nachhaltig hoffnungsfreie Sklave seiner übermenschlichen Strafe, das gesamte Gewicht der Gaia und also des Lebens auf dieser Erde schultern zu müssen. 

Wer denkt heute bei Sisyphos nicht sofort an den Klimaaktivisten, der jeden Freitag den Stein kritischer Bewusstwerdung bewegt?

Über den Berg

Anstatt über Hoffnung wollte Werner Herzog zu Ende unseres Gesprächs deshalb viel lieber über Trost sprechen, den er vor allem in den Künsten finde. Wie etwa der Dichtung, der Malerei, ganz selten auch dem Film. Fern von allzu aktivistischer Selbstaufladung oder der massenkompatiblen Produktion ablenkenden Schunds liege die trostspendende Aufgabe der Künste darin, das, was als unaussprechbar oder unvorstellbar gelte und deshalb besonders dringend gesagt und gezeigt werden müsse, ins Offene zu führen. Es zum Bild und also möglichen Anfang werden zu lassen. Zum Wink, gar Ausgang aus der Dunkelheit unserer, jeder Zeit. Und sei es nur für einen blitzhaften Moment.

Wie etwa das Bild des besessenen Klaus Kinski in seiner Rolle des Fitzcarraldo, der im tiefsten Amazonas-Dschungel ein tonnenschweres Schiff von reiner Menschenhand über einen hohen Berg wuchten lässt. Ein Bild, so Herzog in unserem Gespräch, das übrigens rein gar nichts mit Sisyphos zu tun habe. Schließlich sei es ihm und seinem Team damals darum gegangen  und gelungen! –, den felsenschweren Kahn, einer Arche gleich, von einem Flussdelta über den Berg in ein anderes zu hieven und dort wieder ins Wasser zu setzen. Und zwar, ohne dass dabei irgendjemand tieferen Schaden genommen, gar das Leben verloren hätte. Zwar wisse er bis heute nicht zu sagen, wofür dieses sein berühmtestes Bild nun genau stehe. Aber er glaube, dass letzlich jeder Mensch, jede Generation vor der ebenso absurd wie übermenschlich anmutenden Aufgabe stehe, inmitten des tiefsten Dschungels ein Schiff über den Berg zu hieven: a priori unmöglich, im Vollzug überwältigend, im Ergebnis göttlich befreiend.

Das wäre es wohl, ein handlungsleitendes Bild für unsere Zeit, unseren besonderen geschichtlichen Moment auf dem Raumschiff Erde: der Mythos des Fitzcarraldo. Wir werden im tiefsten Gegenwartsdickicht, jede und jeder für sich und alle gemeinsam, ein Schiff über den Berg wuchten müssen. Das gilt es sich erst einmal vor Augen zu führen, bevor wir wieder aus freien Stücken von Hoffnung sprechen können.

Wolfram Eilenberger ist Philosoph und Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm „Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)“.

Wolfram Eilenberger ist Philosoph und Schriftsteller. Zuletzt erschien von ihm „Feuer der Freiheit. Die Rettung der Philosophie in finsteren Zeiten (1933–1943)“.

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